Anwalt Sozialrecht Berlin: Hartz-4-Sanktionen

Rückforderung von Sozialleistungen – Was müssen Sie beachten?

Manchmal passiert es, dass die Behörde Ihnen zu viel Hartz 4 oder Sozialhilfe zahlt und diese dann hinterher zurückfordert. Ob ein Bescheid aufgehoben und der überzahlte Betrag zurückgefordert werden darf, hängt jedoch von vielen Voraussetzungen ab. Nicht selten kommt es vor, dass dabei auch Fehler gemacht werden. Es ist also wichtig, dass Sie oder Ihr Anwalt Ihren Rückforderungsbescheid genau überprüfen.

Anfängliche und nachträgliche Unrichtigkeit des Leistungsbescheids

Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe dürfen nur zurückgefordert werden, wenn der Bescheid, in dem sie ursprünglich gewährt wurden, aus irgendeinem Grund fehlerhaft ist. Das Sozialrecht unterscheidet dabei zwischen zwei Fällen: Zwischen Leistungsbescheiden, die von Anfang an unrichtig waren, und Bescheiden, die erst nachträglich unrichtig werden, weil sich zwischenzeitlich Ihre Verhältnisse geändert haben.

Beispiel: Es ist jemand in Ihre Wohnung eingezogen und dadurch haben sich nachträglich Ihre Kosten für die Unterkunft verringert.

Die Voraussetzungen, unter denen der Bescheid jeweils aufgehoben werden darf, sind in den beiden Fällen unterschiedlich. Das bedeutet für Sie: Überprüfen Sie, – je nachdem, um welchen Fall es sich bei Ihnen handelt – ob das Jobcenter sich bei der Rückforderung an die jeweiligen Voraussetzungen hält. Wenn nicht, können Sie oder Ihr Anwalt gegen den Rückforderungsbescheid Widerspruch einlegen.

Im ersten Fall (d.h. der Leistungsbescheid war von Anfang an rechtswidrig) darf die Behörde den Bescheid nur für die Vergangenheit zurücknehmen, wenn

  • Sie ihn durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt haben (§ 45 Abs. 2 Nr. 1 SGB X),
  • der Bescheid auf Angaben beruht, die Sie vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht haben (§ 45 Abs. 2 Nr. 2 SGB X) oder
  • wenn Sie die Rechtswidrigkeit des Bescheids kannten oder in Folge grober Fahrlässigkeit nicht kannten (§ 45 Abs. 2 Nr. 3 SGB X).

Grobe Fahrlässigkeit liegt nur vor, wenn Sie die einfachsten, nahe liegenden Überlegungen nicht anstellen, wenn Sie also etwas übersehen oder einfach nicht beachten, was jedem geradezu „in die Augen springt“ (BSG 08.02.2001 – B 11 AL 21/00 R, abrufbar unter https://www.jurion.de/urteile/bsg/2001-02-08/b-11-al-21_00-r/).

Tipp: Das Jobcenter führt den letzten Punkt oft als „Totschlagargument“ an und unterstellt Ihnen einfach grobe Fahrlässigkeit (Jäger/Thomé, Leitfaden ALG II/Sozialhilfe, 622). Wenn Sie der Meinung sind, dass die Behörde die Überzahlung selbst verschuldet hat und das für Sie nicht erkennbar war, können Sie gegen den Bescheid Widerspruch erheben.

Tipp: Hat der Antragsteller eine Täuschung, Drohung oder Bestechung begangen oder kannte er die Rechtswidrigkeit des Bescheids, kann erstmal nur die an ihn zu viel gezahlte Leistung zurückgefordert werden. Wurden aufgrund dessen auch andere volljährige Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft überzahlt, kann die Leistung nur zurückgefordert werden, wenn sie die Überzahlung mit zu verantworten haben oder von ihr wussten.

Im zweiten Fall (der Bescheid wird erst nach seinem Erlass nachträglich rechtswidrig), darf der Bescheid mit Wirkung für die Zukunft (also ab dem jetzigen Zeitpunkt) ohne bestimmte Voraussetzungen geändert werden. Mit Wirkung für die Vergangenheit, darf er dagegen nur dann aufgehoben werden, wenn

  • die Änderung zu Ihren Gunsten erfolgt, d.h. Sie selbst bekommen – begrenzt auf ein Jahr – Leistungen nachgezahlt (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X),
  • Sie der Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für Sie nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist (§ 48 Abs. 1 Satz. 2 Nr. 2 SGB X),
  • Sie Einkommen oder Vermögen erzielt haben ( § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X) oder
  • Sie wussten oder durch besonders schweren Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht nicht wussten, dass der Anspruch ganz oder teilweise weggefallen ist (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X).

Tipp: Wenn sich Ihre tatsächlichen Verhältnisse ändern, teilen Sie das dem Jobcenter immer sofort mit und lassen Sie sich den Eingang Ihrer Mitteilung z.B. durch einen Zeugen oder eine Eingangsbestätigung vom Amt (z.B. Eingangsstempel) nachweisen. Wenn Sie im Nachhinein beweisen können, dass Sie alle Angaben gemacht haben, diese aber von der Behörde nicht beachtet wurden, darf der Bescheid nicht rückwirkend zu Ihren Ungunsten aufgehoben werden.

Rechtswidrigkeit des Rückforderungsbescheids aus formellen Gründen

Auch wenn die Behörde den Leistungsbescheid aus einem der oben genannten Gründe aufheben und das überzahlte Hartz 4 oder die Sozialhilfe zurückfordern durfte, kann es sein, dass beim Verfahren formale Fehler gemacht wurden. Das führt dazu, dass die Rückforderung formell rechtswidrig ist, auch wenn die Tatsachen, die zur Rückforderung geführt haben, an sich inhaltlich korrekt sind. Sie oder Ihr Anwalt können auch gegen einen solchen Rückforderungsbescheid Widerspruch einlegen.

Überprüfen Sie gleich, ob das Jobcenter die folgenden Punkte bei Ihrem Rückforderungsbescheid eingehalten hat:

Ein rechtswidriger Leistungsbescheid kann nur innerhalb eines Jahres aufgehoben werden. Danach können Leistungen nicht mehr zurückgefordert werden. Die Frist beginnt aber nicht etwa an dem Datum, an dem der Bescheid erlassen wurde, sondern immer erst mit „Kenntnis der Tatsachen (…), welche die Rücknahme rechtfertigen“ (§ 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X; § 48 Abs. 4 SGB X). Das heißt: Der Zeitpunkt, an dem der Behörde alle entscheidungsrelevanten Tatsachen bekannt sind.

Tipp: Sie sollten daher immer zuerst prüfen, ob die Jahresfrist schon abgelaufen ist bzw. wann sie abläuft. Nach Ablauf der Frist hat die Behörde keine Möglichkeit mehr zur Korrektur. Das kann für Sie auch ein Vorteil sein.

Tipp: Oft ist im Aufhebungsbescheid das Datum der Kenntnisnahme angegeben. Das kann zwar ein Anhaltspunkt sein, muss aber nicht immer stimmen. Unter Umständen lohnt es sich, Akteneinsicht zu beantragen, um den Zeitpunkt der Kenntnisnahme zu überprüfen.

Tipp: Im Zweifel muss die Behörde nachweisen, dass Ihnen der Aufhebungsbescheid innerhalb der Jahresfrist zugegangen ist.

Aufhebungs- und Rückforderungsbescheide müssen immer hinreichend bestimmt sein. Das heißt: Es muss eindeutig sein, wem gegenüber welche Bewilligung in welcher Höhe aufgehoben und wie viel vom einzelnen Mitglied der Bedarfsgemeinschaft zurückverlangt wird (LSG Schleswig-Holstein 21.03.2012 – L 6 AS 107/11, abrufbar unter http://www.schleswig-holstein.de/DE/Justiz/LSG/Service/Entscheidungen/SGBII/6_AS_107_11.pdf?__blob=publicationFile&v=3). Die Behörde muss die Rückforderung zu viel gezahlter Leistungen bei einer Bedarfsgemeinschaft gegenüber jedem einzelnen Mitglied geltend machen.

Tipp: Wenn nicht gegenüber jedem Mitglied ein Rückforderungsbescheid ergangen ist und die Jahresfrist abgelaufen ist, können Leistungen von der Behörde nicht mehr zurückgefordert werden.

Bevor das Jobcenter einen Sie begünstigenden Leistungsbescheid zurücknimmt, müssen Sie angehört werden. „Anhörung“ heißt nicht zwangsläufig, dass Sie mündlich befragt werden, sie kann auch schriftlich erfolgen. In jedem Fall müssen Sie aufgefordert worden sein, sich zu den Gründen für die Rückforderung zu äußern.

Tipp: Wenn Sie nicht angehört wurden, muss die Behörde anschließend die Anwaltskosten bezahlen (§ 63 Abs. 1 Satz 2 SGB X).

Was ist bei einem Widerspruch gegen den Rückforderungsbescheid zu beachten?

Ist der Rückforderungsbescheid (d.h. der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid) rechtswidrig, können Sie oder Ihr Anwalt gegen ihn Widerspruch einlegen. Weisen Sie bei Ihrem Widerspruch darauf hin, dass er aufschiebende Wirkung hat (§ 86a Abs. 1 SGG). Das bedeutet: Die Behörde darf die Rückforderung bis zur endgültigen Bestandskraft des Bescheids nicht einfach vollziehen. Falls die Behörde sich nicht daran hält, empfiehlt es sich, dass Sie oder Ihr Rechtsanwalt die aufschiebende Wirkung vom Sozialgericht anordnen lassen.

Weisen Sie, wenn Sie sich schriftlich an die Regionaldirektion oder die Stadt- oder Kreiskasse wenden, ebenfalls darauf hin, dass Widerspruch eingelegt wurde und dass dieser aufschiebende Wirkung hat (Jäger/Thomé, Leitfaden ALG II/Sozialhilfe, 627).

Was können Sie tun, wenn die Behörde Ersatzansprüche gegen Sie erhebt?

Unter bestimmten Voraussetzungen kann die Behörde Kostenersatzansprüche gegen Sie erheben. Das ist bei Hartz 4 dann der Fall, wenn

  • Sie durch „sozialwidriges Verhalten“ die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen an sich oder an Personen, die mit Ihnen in Bedarfsgemeinschaft leben, herbeigeführt haben (§ 34 SGB II) oder
  • Sie verursacht haben, dass rechtswidrige Sozialleistungen an Dritte erbracht wurden (§ 34a SGB II).

Wichtig: Die Ersatzpflicht nach § 34 SGB II ist „auf begründete und eng zu fassende Ausnahmefälle begrenzt“ (Bundesagentur für Arbeit, Fachliche Weisungen § 34 SGB II, 34.1, abrufbar unter http://harald-thome.de/fa/harald-thome/files/sgb-ii-hinweise/FH-34—20.07.20126.pdf). Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts muss es sich um ein „Verhalten mit spezifischem Bezug, d.h. inneren Zusammenhang, zur Herbeiführung der Hilfebedürftigkeit bzw. Leistungserbringung“ handeln (BSG 02.11.2012 – B 4 AS 39/12 R) handeln. Diese Ursächlichkeit muss Ihnen nachgewiesen werden.

Beispiele: Kündigung eines Arbeitsverhältnisses ohne wichtigen Grund, verhaltensbedingte Kündigung durch den Arbeitgeber, Ablehnung eines Arbeitsangebots ohne wichtigen Grund, Verschenkung oder Vergeudung Ihres Vermögens, unwirtschaftlicher Verbrauch einer einmaligen Einnahme wie z.B. eine Erbschaft.

Tipp: Das Jobcenter muss Sie vorab zu dem Sachverhalt anhören (§ 24 SGB X). Führen Sie eine solche Anhörung lieber schriftlich durch, d.h. schreiben Sie auf, welche Argumente für Ihr Verhalten sprechen und fügen Sie schriftliche Nachweise hinzu (z.B. Arbeitsverträge, Stundenzettel, ärztliche Bescheinigungen). Machen Sie immer auch Kopien für Ihre eigenen Unterlagen.

Beachten Sie auch, dass Sie nicht ersatzpflichtig sind, wenn es einen objektiv wichtigen Grund für Ihr Verhalten gab (§ 34 Abs. 1 Satz 1 SGB II). Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn Ihnen „ein anderes Verhalten nicht zuzumuten war (z.B. Arbeitsplatzaufgabe aus gesundheitlichen Gründen)“ (Bundesagentur für Arbeit, Fachliche Weisungen § 34 SGB II, 34.10, abrufbar unter http://harald-thome.de/fa/harald-thome/files/sgb-ii-hinweise/FH-34—20.07.20126.pdf).

Tipp: Ob ein solcher Grund in Ihrem Fall gegeben ist, muss von Amts wegen geprüft werden. Sie haben keine Darlegungs- und Nachweispflicht.

Sie haben außerdem keine Ersatzpflicht, wenn die Geltendmachung des Anspruchs für Sie eine Härte bedeuten würde. Ob ein solcher Härtefall vorliegt, ist „nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen“. Es kann sich dabei sowohl um „persönliche“ als auch um „wirtschaftliche“ Gründe handeln (Bundesagentur für Arbeit, Fachliche Weisungen § 34 SGB II, 34.19, abrufbar unter http://harald-thome.de/fa/harald-thome/files/sgb-ii-hinweise/FH-34—20.07.20126.pdf).

Beispiele: Besondere Belastung Ihrer Familie, insb. wenn Sie mit Kindern zusammenleben, besondere medizinische Belastungen, Gefährdung laufender Schuldentilgung (vgl. Jäger/Thomé, Leitfaden ALG II/Sozialhilfe, 632).

Tipp: Auch wenn der Anspruch an sich berechtigt ist, muss darüber hinaus auch die Höhe der Kostenerstattung begründet sein. Das ist, gerade wenn es sich um fiktive Beträge handelt (z.B. ein nicht aufgenommenes Arbeitsverhältnis), nicht immer der Fall. Im Zweifel sollten Sie oder Ihr Anwalt gegen den Bescheid der Behörde Widerspruch einlegen. Ist die Widerspruchsfrist abgelaufen, können Sie immer noch einen Überprüfungsantrag stellen (§ 44 SGB X).

Auch bei der Ersatzpflicht nach § 34a SGB II gibt es Einiges zu beachten. Das Jobcenter kann den Anspruch nicht „einfach so“ gegen Sie erheben, sondern muss nachweisen, dass Sie vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt haben und dass Ihr Verhalten auch tatsächlich ursächlich war für die rechtswidrige Leistungserbringung.

Tipp: Lediglich fahrlässiges Verhalten führt nicht zur Ersatzpflicht. Legen Sie im Zweifel Widerspruch gegen den Bescheid ein.

Bei der Sozialhilfe nach dem SGB XII gibt es – vergleichbar mit dem Anspruch aus § 34 SGB II bei Hartz 4 (s.o.) – einen entsprechenden Ersatzanspruch bei „schuldhaftem Verhalten“ (§ 103 Abs. 1 SGB XII). Im Unterschied zum Arbeitslosengeld II kann der Anspruch hier auch gegenüber sonstigen Dritten geltend gemacht werden.

Tipp: Auch hier darf der Anspruch nicht erhoben werden, wenn er für Sie eine Härte bedeutet würde. Erheben Sie gegen den Bescheid Widerspruch, wenn bei Ihnen ein Härtefall vorliegt. Nach Ablauf der Widerspruchsfrist gibt es immer noch die Möglichkeit eines Überprüfungsantrags.

Überprüfen Sie hier, was Sie gegen die Rückforderung Ihrer Leistung
oder den Ersatzanspruch tun können