Rückforderung von Sozialleistungen – Was müssen Sie beachten?
Manchmal passiert es, dass die Behörde Ihnen zu viel Hartz 4 oder Sozialhilfe zahlt und diese dann hinterher zurückfordert. Ob ein Bescheid aufgehoben und der überzahlte Betrag zurückgefordert werden darf, hängt jedoch von vielen Voraussetzungen ab. Nicht selten kommt es vor, dass dabei auch Fehler gemacht werden. Es ist also wichtig, dass Sie oder Ihr Anwalt Ihren Rückforderungsbescheid genau überprüfen.
Anfängliche und nachträgliche Unrichtigkeit des Leistungsbescheids
Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe dürfen nur zurückgefordert werden, wenn der Bescheid, in dem sie ursprünglich gewährt wurden, aus irgendeinem Grund fehlerhaft ist. Das Sozialrecht unterscheidet dabei zwischen zwei Fällen: Zwischen Leistungsbescheiden, die von Anfang an unrichtig waren, und Bescheiden, die erst nachträglich unrichtig werden, weil sich zwischenzeitlich Ihre Verhältnisse geändert haben.
Die Voraussetzungen, unter denen der Bescheid jeweils aufgehoben werden darf, sind in den beiden Fällen unterschiedlich. Das bedeutet für Sie: Überprüfen Sie, – je nachdem, um welchen Fall es sich bei Ihnen handelt – ob das Jobcenter sich bei der Rückforderung an die jeweiligen Voraussetzungen hält. Wenn nicht, können Sie oder Ihr Anwalt gegen den Rückforderungsbescheid Widerspruch einlegen.
Im ersten Fall (d.h. der Leistungsbescheid war von Anfang an rechtswidrig) darf die Behörde den Bescheid nur für die Vergangenheit zurücknehmen, wenn
- Sie ihn durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt haben (§ 45 Abs. 2 Nr. 1 SGB X),
- der Bescheid auf Angaben beruht, die Sie vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht haben (§ 45 Abs. 2 Nr. 2 SGB X) oder
- wenn Sie die Rechtswidrigkeit des Bescheids kannten oder in Folge grober Fahrlässigkeit nicht kannten (§ 45 Abs. 2 Nr. 3 SGB X).
Grobe Fahrlässigkeit liegt nur vor, wenn Sie die einfachsten, nahe liegenden Überlegungen nicht anstellen, wenn Sie also etwas übersehen oder einfach nicht beachten, was jedem geradezu „in die Augen springt“ (BSG 08.02.2001 – B 11 AL 21/00 R, abrufbar unter https://www.jurion.de/urteile/bsg/2001-02-08/b-11-al-21_00-r/).
Im zweiten Fall (der Bescheid wird erst nach seinem Erlass nachträglich rechtswidrig), darf der Bescheid mit Wirkung für die Zukunft (also ab dem jetzigen Zeitpunkt) ohne bestimmte Voraussetzungen geändert werden. Mit Wirkung für die Vergangenheit, darf er dagegen nur dann aufgehoben werden, wenn
- die Änderung zu Ihren Gunsten erfolgt, d.h. Sie selbst bekommen – begrenzt auf ein Jahr – Leistungen nachgezahlt (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X),
- Sie der Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für Sie nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist (§ 48 Abs. 1 Satz. 2 Nr. 2 SGB X),
- Sie Einkommen oder Vermögen erzielt haben ( § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X) oder
- Sie wussten oder durch besonders schweren Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht nicht wussten, dass der Anspruch ganz oder teilweise weggefallen ist (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X).
Rechtswidrigkeit des Rückforderungsbescheids aus formellen Gründen
Auch wenn die Behörde den Leistungsbescheid aus einem der oben genannten Gründe aufheben und das überzahlte Hartz 4 oder die Sozialhilfe zurückfordern durfte, kann es sein, dass beim Verfahren formale Fehler gemacht wurden. Das führt dazu, dass die Rückforderung formell rechtswidrig ist, auch wenn die Tatsachen, die zur Rückforderung geführt haben, an sich inhaltlich korrekt sind. Sie oder Ihr Anwalt können auch gegen einen solchen Rückforderungsbescheid Widerspruch einlegen.
Überprüfen Sie gleich, ob das Jobcenter die folgenden Punkte bei Ihrem Rückforderungsbescheid eingehalten hat:
Ein rechtswidriger Leistungsbescheid kann nur innerhalb eines Jahres aufgehoben werden. Danach können Leistungen nicht mehr zurückgefordert werden. Die Frist beginnt aber nicht etwa an dem Datum, an dem der Bescheid erlassen wurde, sondern immer erst mit „Kenntnis der Tatsachen (…), welche die Rücknahme rechtfertigen“ (§ 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X; § 48 Abs. 4 SGB X). Das heißt: Der Zeitpunkt, an dem der Behörde alle entscheidungsrelevanten Tatsachen bekannt sind.
Aufhebungs- und Rückforderungsbescheide müssen immer hinreichend bestimmt sein. Das heißt: Es muss eindeutig sein, wem gegenüber welche Bewilligung in welcher Höhe aufgehoben und wie viel vom einzelnen Mitglied der Bedarfsgemeinschaft zurückverlangt wird (LSG Schleswig-Holstein 21.03.2012 – L 6 AS 107/11, abrufbar unter http://www.schleswig-holstein.de/DE/Justiz/LSG/Service/Entscheidungen/SGBII/6_AS_107_11.pdf?__blob=publicationFile&v=3). Die Behörde muss die Rückforderung zu viel gezahlter Leistungen bei einer Bedarfsgemeinschaft gegenüber jedem einzelnen Mitglied geltend machen.
Bevor das Jobcenter einen Sie begünstigenden Leistungsbescheid zurücknimmt, müssen Sie angehört werden. „Anhörung“ heißt nicht zwangsläufig, dass Sie mündlich befragt werden, sie kann auch schriftlich erfolgen. In jedem Fall müssen Sie aufgefordert worden sein, sich zu den Gründen für die Rückforderung zu äußern.
Was ist bei einem Widerspruch gegen den Rückforderungsbescheid zu beachten?
Ist der Rückforderungsbescheid (d.h. der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid) rechtswidrig, können Sie oder Ihr Anwalt gegen ihn Widerspruch einlegen. Weisen Sie bei Ihrem Widerspruch darauf hin, dass er aufschiebende Wirkung hat (§ 86a Abs. 1 SGG). Das bedeutet: Die Behörde darf die Rückforderung bis zur endgültigen Bestandskraft des Bescheids nicht einfach vollziehen. Falls die Behörde sich nicht daran hält, empfiehlt es sich, dass Sie oder Ihr Rechtsanwalt die aufschiebende Wirkung vom Sozialgericht anordnen lassen.
Weisen Sie, wenn Sie sich schriftlich an die Regionaldirektion oder die Stadt- oder Kreiskasse wenden, ebenfalls darauf hin, dass Widerspruch eingelegt wurde und dass dieser aufschiebende Wirkung hat (Jäger/Thomé, Leitfaden ALG II/Sozialhilfe, 627).
Was können Sie tun, wenn die Behörde Ersatzansprüche gegen Sie erhebt?
Unter bestimmten Voraussetzungen kann die Behörde Kostenersatzansprüche gegen Sie erheben. Das ist bei Hartz 4 dann der Fall, wenn
- Sie durch „sozialwidriges Verhalten“ die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen an sich oder an Personen, die mit Ihnen in Bedarfsgemeinschaft leben, herbeigeführt haben (§ 34 SGB II) oder
- Sie verursacht haben, dass rechtswidrige Sozialleistungen an Dritte erbracht wurden (§ 34a SGB II).
Wichtig: Die Ersatzpflicht nach § 34 SGB II ist „auf begründete und eng zu fassende Ausnahmefälle begrenzt“ (Bundesagentur für Arbeit, Fachliche Weisungen § 34 SGB II, 34.1, abrufbar unter http://harald-thome.de/fa/harald-thome/files/sgb-ii-hinweise/FH-34—20.07.20126.pdf). Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts muss es sich um ein „Verhalten mit spezifischem Bezug, d.h. inneren Zusammenhang, zur Herbeiführung der Hilfebedürftigkeit bzw. Leistungserbringung“ handeln (BSG 02.11.2012 – B 4 AS 39/12 R) handeln. Diese Ursächlichkeit muss Ihnen nachgewiesen werden.
Beachten Sie auch, dass Sie nicht ersatzpflichtig sind, wenn es einen objektiv wichtigen Grund für Ihr Verhalten gab (§ 34 Abs. 1 Satz 1 SGB II). Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn Ihnen „ein anderes Verhalten nicht zuzumuten war (z.B. Arbeitsplatzaufgabe aus gesundheitlichen Gründen)“ (Bundesagentur für Arbeit, Fachliche Weisungen § 34 SGB II, 34.10, abrufbar unter http://harald-thome.de/fa/harald-thome/files/sgb-ii-hinweise/FH-34—20.07.20126.pdf).
Sie haben außerdem keine Ersatzpflicht, wenn die Geltendmachung des Anspruchs für Sie eine Härte bedeuten würde. Ob ein solcher Härtefall vorliegt, ist „nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen“. Es kann sich dabei sowohl um „persönliche“ als auch um „wirtschaftliche“ Gründe handeln (Bundesagentur für Arbeit, Fachliche Weisungen § 34 SGB II, 34.19, abrufbar unter http://harald-thome.de/fa/harald-thome/files/sgb-ii-hinweise/FH-34—20.07.20126.pdf).
Auch bei der Ersatzpflicht nach § 34a SGB II gibt es Einiges zu beachten. Das Jobcenter kann den Anspruch nicht „einfach so“ gegen Sie erheben, sondern muss nachweisen, dass Sie vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt haben und dass Ihr Verhalten auch tatsächlich ursächlich war für die rechtswidrige Leistungserbringung.
Bei der Sozialhilfe nach dem SGB XII gibt es – vergleichbar mit dem Anspruch aus § 34 SGB II bei Hartz 4 (s.o.) – einen entsprechenden Ersatzanspruch bei „schuldhaftem Verhalten“ (§ 103 Abs. 1 SGB XII). Im Unterschied zum Arbeitslosengeld II kann der Anspruch hier auch gegenüber sonstigen Dritten geltend gemacht werden.