Hartz 4: Die wichtigsten aktuellen Urteile
Am 26.05.2015 hat das Sozialgericht Gotha einen Vorlagebeschluss (Az.: S 15 AS 5157/14) beim Bundesverfassungsgericht eingereicht, um prüfen zu lassen, ob die sozialrechtlichen Sanktionen gegen Empfänger von Arbeitslosengeld II mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Das Sozialgericht ist überzeugt, dass die Hartz-IV-Sanktionsregeln, d.h. Kürzungen oder Sperrungen der SGB II-Leistung, verfassungswidrig sind. Es verstößt nach seiner Auffassung gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG), wenn die Jobcenter die eigentlich schon unterste Grenze um weitere 30%, 60% oder sogar auf Null kürzen können. Nach Ansicht der Gothaer Sozialrichter ist es widersprüchlich, den Bedürftigen zwar ein „Existenzminimum“ zuzugestehen, gleichzeitig aber im Gesetz Sanktionen vorzusehen, mit denen dieses Minimum deutlich unterschritten wird.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 06.05.2016 (Az.: 1 BvL 7/15) die Vorlage aus Gotha jedoch aus formalen Gründen zurückgewiesen (beim Bundesverfassungsgericht gibt es sehr strenge formelle Vorgaben; wenn diese nicht eingehalten sind, kann das Gericht nicht inhaltlich über die Sache entscheiden). Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht zugegeben, es handele sich um eine „verfassungsrechtlich gewichtige“ Frage.
Am 02.08.2017 hat das Sozialgericht Gotha nun einen erneuten Anlauf gewagt (Az.: S 15 AS 5157/14): Es hat dem Bundesverfassungsgericht erneut die Frage zur Rechtmäßigkeit der Sanktionsregelungen zur Entscheidung vorgelegt. Diesmal sind, zumindest nach Angaben der Sozialrichter, die formalen Vorgaben erfüllt. Bis jetzt hat das Bundesverfassungsgericht zu der Sache noch nicht entschieden (Stand: Mai 2017).
Was tun bei Sanktionen im Sozialrecht (Hartz 4)?
In dem Fall klage die 61-Jährige Frau M., die von der Arbeitsagentur Oschatz betreut wird. Frau M. ist Diplom-Wirtschaftsingenieurin und war neun Jahre als Buchhalterin angestellt, bevor sie betriebsbedingt gekündigt wurde. Die Arbeitsagentur Ochatz legte ihr daraufhin eine Kompakt-Maßnahme auf, bei der sie Einblicke in verschiedene Bereiche wie Holztechnik, Metall, Farbe, Garten- und Landschaftsbau, sowie Pflegehilfe erlangen sollte. Die diplomierte Ingenieurin empfand diese Maßnahme als reine Schikane.
Damit hatte sie vor Gericht Erfolg. Das Sozialgericht Leipzig stellte in seinem Urteil vom 09.06.2016 (Az.: S 1 AL 251/15) fest, dass die angeordnete Kompakt-Maßnahme die Eingliederung von Frau M. nicht vorantreiben würde. Die vom Jobcenter auferlegten Maßnahmen müssen zum Profil des Arbeitslosen passen, so die Sozialrichter. Nach Ansicht des Gerichts war die Zuweisung der Buchhalterin in die angeordneten Maßnahmen daher unzumutbar und somit rechtswidrig.
Lassen Sie sich von einem Anwalt beraten
Sie müssen sich als Bezieher von Hartz-IV-Leistungen nicht erst gegen etwaige Leistungskürzungen wehren, sondern können schon vorab gegen unzumutbare Maßnahmen wie die von Frau M. vorgehen. Betroffenen ist daher zu raten, sich gegen völlig sinnlose Maßnahmen zu wehren und bereits in der Eingliederungsvereinbarung auf das persönliche Profil abgestimmte Maßnahmen zu fordern. Weisen Sie dabei auf das Urteil des Sozialgerichts Leipzig hin und fragen Sie einen Anwalt um Rat. Letztendlich dienen gut abgestimmte Eingliederungsmaßnahmen ja nicht nur dem Erwerbslosen, sondern, wenn sie die Eingliederung vorantreiben, auch dem Jobcenter.
Dem Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 21.09.2016 (Az.: S 35 AS 1879/14) lag folgender Fall zugrunde: Das Jobcenter Dortmund hatte dem Leistungsbezieher aus Hagen Arbeitslosengeld II gewährt. Aufgrund eines gerichtlichen Beschlusses war die Leistung zeitlich begrenzt. Nach Ablauf des sechsmonatigen Bewilligungszeitraums überwies das Jobcenter versehentlich trotzdem den Monatsbetrag für den Erwerbslosen und seine Familie in Höhe von 1.138 Euro. Einen Bescheid gab es hierfür jedoch nicht. Der Mann hatte, bevor die sechs Monate abgelaufen waren, zwar einen weiteren Antrag gestellt, über den das Jobcenter Dortmund aber noch nicht entschieden hatte. Später verlangte das Jobcenter dann den überzahlten Betrag von dem Mann zurück.
Die Klage des arbeitslosen Mannes hatte Erfolg. Vor dem Sozialgericht Dortmund wurde der Erstattungsbescheid des Jobcenters aufgehoben und der Mann musste die 1.138 Euro nicht zurückzahlen. Die Richter wiesen darauf hin, dass bei der Erstattung von Leistungen, die ohne Verwaltungsakt erbracht wurden, eine Vertrauensschutzprüfung und eine Ermessensentscheidung durch die Behörde erforderlich seien. Der Mann konnte in dem Fall aber davon ausgehen, also darauf „vertrauen“, dass die Weitergewährung der Hartz-IV-Leistung auf seinem Antrag beruhte, zumal er das Jobcenter noch vor der Auszahlung nochmal auf den Antrag hingewiesen hatte.
Anwaltliche Hilfe bei der Rückforderung vom Jobcenter (Hartz 4)
Wenn Hartz-IV-Leistungsbezieher umziehen müssen, hat das Jobcenter die Umzugskosten in angemessenem Umfang zu tragen bzw. zurückzuerstatten. Das bedeutet auch, dass das Jobcenter einen neuen Telefonanschluss und einen Nachsendeauftrag bei der Post bezahlen muss. Das hat das Bundessozialgericht am 10.08.2016 bestätigt (Az.: B 14 AS 58/15 R).
In dem Fall ging es um einen 61-jährigen Mann, der sich von seiner Ehefrau trennte und deswegen in eine andere Wohnung umzog. Das Jobcenter Region Hannover sah den Umzug als notwendig an und sicherte dem Mann die Zahlung der angemessenen Umzugskosten zu. Doch als er dann die Belege für den neuen Telefonanschluss und den Nachsendeauftrag einreichte, antwortete die Behörde, dies seien keine Kosten, die unmittelbar mit dem Umzug zu tun hätten, wie z.B. Möbeltransport. Daraufhin reiche der Mann Klage ein.
Letztendlich gab ihm das Bundessozialgericht recht: Auch die Kosten für Telefonanschluss und Nachsendeauftrag sind erforderliche und angemessene Umzugskosten. Es gehört zu den Grundbedürfnissen eines jeden Menschen, die Kommunikation mit anderen aufrecht zu erhalten.
Am 09.05.2016 fällte das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz ein Urteil in folgendem Fall: Ein Selbständiger hatte aufstockende Hartz-IV-Leistungen bekommen. Um Chancen auf eine lohnabhängige Beschäftigung zu erhalten, sollte er mit der Behörde eine Eingliederungsvereinbarung abschließen. Das Jobcenter gab ihm drei Entwürfe, er erklärte sich jedoch mit keinem der Vorschläge einverstanden. Daraufhin erließ das Jobcenter einen Bescheid und wies dem Mann verbindlich bestimmte Maßnahmen zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt zu. Diese Maßnahmen waren aber plötzlich ganz andere als die in den vorhergehenden Entwürfen. Der Mann legte Widerspruch gegen den Bescheid ein und beantragte aufschiebende Wirkung.
Das Landessozialgericht gab dem Mann recht: Der Bescheid des Jobcenter war rechtswidrig, weil es davor keine Verhandlung konkret über den Inhalt des Bescheids gab. Die Behörde muss vor Erlass eines Verwaltungsaktes immer zumindest den Versuch unternehmen, mit dem Leistungsbezieher eine Vereinbarung zu treffen. Hier fanden zwar Verhandlungen zwischen dem Arbeitssuchenden und dem Jobcenter statt, doch der Bescheid wich letztendlich sehr stark von ihnen ab, ohne dass es nochmals ein Gespräch darüber gab.
Die Richter aus Rheinland-Pfalz zitierten dabei auch eine Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 14.02.2013 (Az.: B 14 AS 195/11 R): Das Jobcenter darf den Arbeitssuchenden nur dann per Bescheid zu Eingliederungsmaßnahmen verpflichten, wenn ein Gespräch stattgefunden und der Erwerbslose die Eingliederungsvereinbarung abgelehnt hat.
Eingliederungsvereinbarung (Hartz 4) muss man nicht unterschreiben
Behörden verschanzen sich oft mal hinter ihrer Unzuständigkeit, was für Betroffene problematische Folgen haben kann. So war es auch in dem Fall, der am 09.06.2016 vor dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen entschieden wurde (Az.: L 9 SO 427/15 B ER). Damals ging es um einen Mann, der beim Jobcenter Herne einen Antrag auf Hartz 4 gestellt hatte. Das Jobcenter berief sich aber auf ein arbeitsmedizinisches Gutachten der Bundesagentur für Arbeit, in dem beschrieben wurde, dass der Mann nicht erwerbsfähig sei. Daraufhin schickte das Jobcenter den arbeitslosen Mann weiter an das Sozialamt. Hier wurden ihm jedoch ebenfalls die existenzsichernden Leistungen verweigert.
Das Gericht entschied in diesem Fall: Es stimmt zwar, dass man Arbeitslosengeld II (Hartz 4) nur dann bekommt, wenn man erwerbsfähig ist. Bis die Erwerbsunfähigkeit sicher festgestellt ist (das kann das Jobcenter nicht allein, sondern muss das Sozialamt hinzuziehen), muss das Jobcenter aber trotzdem erst einmal Hartz 4 zahlen. Betroffene haben einen vorläufigen Anspruch auf Hartz 4. Der Grund: Ansonsten kann es, wie in dem Fall in Herne, passieren, dass Betroffene zwischen den Behörden hin- und hergeschickt werden, was für sie an die finanzielle Existenzgrenze mit all den problematischen Folgen gehen kann.
Der Kläger lebte mit einer Frau zusammen, die Hartz-IV-Leistungen bekam. Für die Behörde machte es den Eindruck, als lebten die beiden in einer Bedarfsgemeinschaft zusammen. Das Jobcenter verlangte daher mehrfach von dem Mann, die Hartz-4-Vordrucke auszufüllen und entsprechende Einkommensnachweise einzureichen. Dagegen wehre sich der Kläger mit einem Widerspruch, denn er selbst beziehe ja überhaupt kein Hartz 4 und habe das auch noch nie getan.
Das Sozialgericht Gießen gab dem Mann am 23.02.2016 recht (Az.: S 22 AS 1015/14): Man muss als Partner die amtlichen Hartz-IV-Vordrucke nicht ausfüllen. Die Formulare richten sich nur an den „Antragsteller“. Wer aber selbst nicht im Leistungsbezug steht und überhaupt kein Hartz 4 beantragt hat, der ist auch nicht zur Mitwirkung verpflichtet. Es sind grundsätzlich nur die Partner in einer eheähnlichen Gemeinschaft verpflichtet, dem Jobcenter über ihre Einkommensverhältnisse Auskunft zu geben.
Was müssen Sie als Partner eines Hartz-IV-Empfängers beachten?
Nicht-Hilfebedürftige können mit ihrem Geld nach eigenem Ermessen umgehen und sind nicht dazu verpflichtet, bei ihren Ausgaben eine mögliche Abhängigkeit von Hartz 4 hinauszuzögern. Das hat das Sozialgericht Düsseldorf am 31.08.2015 entschieden (Az.: S 35 AS 257/15). Der Entscheidung lag ein Fall zugrunde, in dem ein 41-jähriger Mann in den zwei Jahren, bevor er Hartz 4 beantragte, etwa 130.000 Euro ausgab. Der Mann litt am Asperger Syndrom und konnte aufgrund der Krankheit nicht mit Geld umgehen. Die Behörde warf ihm vor, er hätte seine Hilfsbedürftigkeit grob fahrlässig verursacht und forderte deshalb das gezahlte Hartz 4 von ihm zurück.
Das Gericht stellte aber fest, in dem Fall lag kein „grob fahrlässiges“ Verhalten vor. Nicht-Hartz-IV-Empfänger haben keine Pflicht zur Sparsamkeit. Ansonsten würde § 34 Abs. 2 AGB II für große Teile der Bevölkerung gelten, das verstößt aber gegen die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Grundgesetz). Etwas anderes gilt nach Aussage des Sozialgerichts Düsseldorf nur dann, wenn Leute ihr Geld ausgeben, um möglichst schnell Hartz 4 zu erhalten.
Was können Sie tun, wenn das Jobcenter wegen sozialwidrigem Verhalten Leistungen zurückfordert?
Üben Sie als Hartz-IV-Empfänger eine Nebentätigkeit aus und bekommen von Ihrem Arbeitgeber Fahrtkosten erstattet, werden diese nicht als Einkommen angerechnet. In dem Fall vor dem Sozialgericht Dortmund (Az.: S 31 AS 2064/14) ging es um einen Mann, der nebenbei monatlich zehn Stunden als Gärtner arbeitete und dabei etwa 100 Euro verdiente. Zusätzlich bekam er vom Arbeitgeber monatlich 25 Euro für die Fahrtkosten, wenn er z.B. Grünabfälle entsorgen musste. Das Jobcenter Bochum rechnete diese 25 Euro als Einkommen an und forderte einen Teil des gezahlten Hartz 4 von dem Mann zurück.
Das geht nicht, so das Sozialgericht Dortmund. Die 25 Euro decken lediglich die tatsächlich aufgewendeten Kosten des Mannes, und bewirken nicht, dass der Mann monatlich mehr Mittel zur Verfügung hat. Dabei orientierten sich die Richter an der Pauschale von 30 Cent je für die Arbeit gefahrenen Kilometer.
Sind die Heizkosten von Hartz-IV-Empfängern zu hoch, kann das Jobcenter sie nicht in jedem Fall zu einem Umzug zwingen. Wenn die Kosten für den Umzug im Verhältnis zu den Heizkosten unwirtschaftlich sind, kann das Jobcenter keinen Umzug verlangen.
In einem Fall vor dem Sozialgericht Gießen hatte eine Frau geklagt, die monatlich sehr hohe Heizkosten hatte, da ihre Wohnung schlecht isoliert war. Wegen der unangemessenen Höhe der Heizkosten lehnte das Jobcenter jedoch den Antrag der Frau ab. Daraufhin reichte sie eine Klage beim Sozialgericht Gießen ein.
Die Sozialrichter stellten zwar auch fest, dass die Heizkosten der Frau „unverhältnismäßig“ hoch waren. Gleichzeitig zahlte sie aber nur sehr wenig Miete. Ein Umzug wäre aus diesem Grund nicht wirtschaftlich sinnvoll, da er letztendlich in der Summe trotzdem teurer wäre.